Tag 14 – Aus der Flaute in den Sturm

Gestern habe ich ja noch geschrieben, dass es ab jetzt „bergab“ geht. Bisher merken wir allerdings noch nicht viel davon, es fühlt sich eher an, als ob wir mit angezogener Handbremse fahren. In den letzten 24 Stunden hatten wir nur ein sehr leichtes Lüftchen aus Nordost, dass wir noch bis in die Nacht hinein mit unserem Spi ausnutzten. Morgens um 2 Uhr kam jedoch ein Schauer mit Böen bis 20 Knoten, so dass ich Andrea wieder mal in ihrer Freiwache wecken musste, um in einer inzwischen zur Routine gewordenen blitzartigen Aktion das Segel zu bergen. Kaum geborgen schlief der Wind natürlich wieder ein, aber diesmal vollständig. War ja klar! Also beschlossen wir, mal ein wenig Schlaf nachzuholen und legten uns beide bis 9 Uhr ins Bett!
Morgens kam wieder ein klein wenig Wind auf, der den ganzen Tag anhielt und uns mit 3 Knoten Richtung Karibik schob. Dementsprechend klein fiel dann auch unser Etmal aus: nur 71 Seemeilen!
Damit wir wenigstens ein bißchen schneller vorankamen, habe ich (Kai McGyver) unseren Spibaum notdürftig repariert. Zuerst habe ich den um 90° verbogenen Teil herausgesägt. Als inneres Verbindungsstück der beiden Rohrenden benutzte ich einen ausgedienten Hartplastikzylinder einer Signalrakete, den ich mit einer dünnen Leine umwickelte, so dass der Durchmesser genau stimmte. Dann stülpte ich das Bein unseres Salontisches (keine Angst, der Tisch steht noch, war nur das kurze Bein, um den Tisch zum Bett umzufunktionieren) über die Flickstelle und fixierte dieses durch Einschlagen von „Keilen“ (Ringklemmen aus meinem Elektrikerfundus). Sofort nach Fertigstellung dieser ausgefuchsten Konstruktion (an Land würde ich sie wohl eher einen Riesenpfusch nennen) setzten wir den Baum und siehe da, schon fuhren wir 0,3 Knoten schneller :-).
Außerdem haben wir auf der Wetterkarte gesehen, dass wir demnächst ein Gebiet mit hoher Gewittertendenz durchfahren müssen. Daher habe ich uns zwei Blitzableiter mit jeweils 35mm2 Kabeln gebaut, die man an den Mastfuss schrauben kann (mit Ringklemmen, meinem neuen Lieblingsspielzeug :-)). Von da aus kann man sie ziemlich direkt durch unser Netz zwischen den Rümpfen zu Wasser lassen. Keine Ahnung, ob das physikalisch was bringt, aber psychologisch in jedem Fall. Außerdem haben wir mal kartografiert, wo unsere ganzen elektronischen Gerätschaften versteckt sind, so dass man diese bei Gewitter möglichst schnell im Backofen verstauen kann (ohne Scherz jetzt, Stichwort Faradayscher Käfig). Dabei ist uns aufgefallen, dass wir einen größeren Backofen brauchen…
Zu guter Letzt hat mir Andrea noch die Haare geschnitten. Das war bei der Wackelei eine ganz schöne Herausforderung, aber ich finde, sie hat das ganz toll gemacht. Ich wollte zwar nie wirklich zur Armee gehen, aber immerhin könnte ich jetzt, wenn ich wollte 🙂
Abends drehte dann der Wind plötzlich auf Südost, was ein Vorbote der tropischen Depression war. Das hätte laut unserem Wetterbericht noch gar nicht passieren dürfen, von daher ging ich nach dem leckeren Abendessen, das Andrea uns gekocht hatte (Gnocchi mit Paprikasoße), etwas nervös ins Bett. 4 Stunden später, bei Wachwechsel, war es dann soweit: der Wind frischte auf 5 Beaufort auf und drehte auf Süd. Dann kam ein Schauer mit Böen der Windstärke 6. Und weiter drehte der Wind auf Südwest, West, Nordwest, Nord, alles innerhalb nur einer Stunde: mit dem um einige 100 Seemeilen daneben liegenden Wetterbericht waren wir wohl genau ins „Auge“ des Tiefs geraten. Oje, oje, da kam schon der nächste Schauer mit Böen Stärke 7, dann sogar 8. Na prima, ich glaube unser Beschwerdebrief ist bei Petrus nicht so gut angekommen. Die Nacht haben wir schlaflos aber gut überstanden, jetzt müssen wir mal schauen, wie wir aus dem Schlamassel wieder rauskommen! [gpspos lat=19.906 lon=-38.63]

Tag 13 – Ab jetzt geht’s bergab!

Heute um 12:58 Uhr war es soweit: Lanzarote und Antigua waren gleich weit von uns entfernt, nämlich genau 1444 Seemeilen. Das bedeutet, dass wir die Hälfte der Strecke geschafft haben! Dieses „Bergfest“ haben wir mit einem selbst gebackenen Marmorkuchen gebührend gefeiert. Petrus (danke!) hatte uns dafür sogar extra eine kurze Flaute geschickt, damit wir den Kuchen in Ruhe genießen konnten. Anschließend nahmen wir noch ein erfrischendes Bad im hier 5000 Meter tiefen atlantischen Ozean. Dabei überprüfte ich gleich noch mit Taucherbrille und Schnorchel das Unterwasserschiff – kein Bewuchs, Schrauben und Ruder noch vorhanden, alles in Ordnung! Während unseres Bades kam dann auch schon wieder etwas Wind auf, so dass die Silence sogar ohne gehisste Segel mit über 2 Knoten weiter wollte. Also, raus aus dem Wasser, Abtrocknen und Spi setzen! Leider war der Wind nach drei Stunden wieder weg, also Spi wieder runter :-(. Als wir uns gerade ein Alternativprogramm überlegt hatten, nämlich ein paar Folgen Big Bang Theory schauen, kam der Wind wieder zurück. Wir haben trotzdem erstmal eine Folge geschaut, bevor wir den Spi wieder hochzogen, schließlich müssen wir hier keine Regatta gewinnen :-). Im Moment (23 Uhr UTC) fahren wir bei 9 Knoten Nordost-Wind mit gemütlichen 4 1/2 Knoten gen Antigua. Für die nächsten paar Tage ist sehr wenig Wind angesagt, dafür viel Regen und sogar Gewitter. Zum Glück haben wir noch viele Folgen Big Bang Theory und selbst wenn diese ausgehen sollten, haben wir immer noch alle Staffeln M.A.S.H., Monk und einiges mehr!

[gpspos lat=20.046 lon=-37.429]

Tag 12 – Beschwerdebrief

Lieber Petrus!

Wir wissen ja, dass Du ein viel beschäftigter Mann bist und die Steuerung des Wetters auf dem Atlantik bei weitem nicht Dein einziges Aufgabenfeld ist. Aber trotzdem möchten wir Dir hiermit mitteilen, dass in dieser Region wohl einiges aus dem Ruder gelaufen ist und dass hier dringender Handlungsbedarf besteht. Vielleicht solltest Du Dir mal den zuständigen Mitarbeiter zur Brust nehmen. Oder gibt es den gar nicht mehr? Wahrscheinlich ist er dem letzten Optimierungsprogramm Deiner Unternehmensberater zum Opfer gefallen. Vermutlich hat Dir einer der Herren in Ihren feinen Anzügen mit ahnungsloser, aber überzeugender Stimme gesagt: „Atlantik!? Wo oder was soll denn das bitte sein? Da draußen ist ja sowieso keiner, das benötigen wir nicht. Diese Abteilung können Sie auflösen.“ So oder ähnlich wird es sich wohl zugetragen haben, obwohl das alles natürlich nur Mutmaßungen sind. Kommen wir also nun lieber zu den Fakten bzw. Forderungen, die der Auslöser für diesen Brief waren:
Punkt 1: Wenn Du Wind machst, solltest Du Dich auf eine oder maximal zwei verschiedene, aber benachbarte Windstärken pro Tag festlegen. Beispiel: morgens 4, abends 5 Beaufort ist regelkonform. Die Abfolge 3, 5, 4, 7, 3, 6, 3 ist nicht innerhalb eines Tages und schon gar nicht innerhalb einer Stunde erlaubt.
Punkt 2: Die Wellen sollten immer aus derselben Richtung kommen wie der Wind. Die Höhe der Wellen sollte außerdem immer in einem vernünftigen Verhältnis zur Windstärke stehen. 5 Meter hohe, steile Wellen bei 3 Beaufort Wind entsprechen dieser Forderung definitiv nicht! Punkt 3: Regenschauer oder neudeutsch Squalls dürfen nur vereinzelt auftreten. Wir buchstabieren: v-e-r-e-i-n-z-e-l-t. Damit ist gemeint, das in Sichtweite eines Schauers nicht schon der nächste in den Startlöchern stehen darf. Auch sollten Squalls nicht an aufeinander folgenden und schon gar nicht an drei Tagen hintereinander auftreten.
Punkt 4: Die Bewölkung sollte 3/8 Bedeckung des Himmels nicht übersteigen. Alles andere hat einen zu starken negativen Einfluß auf die Temperatur und die Anzahl der Sonnenstunden pro Tag.
Punkt 5: Der Passatwind sollte in den Monaten Dezember bis Mai gleichmäßig mit 4 bis 5 Beaufort aus Nordost bis Ost blasen. Tropische Depressionen sind während dieser Zeit im Passatwindgürtel generell nicht akzeptabel und sollten wieder ins Reich der Seefahrermärchen verbannt werden. Wir hoffen, dass Du mit diesen konkreten Angaben die Abteilung „Atlantik“ schnell wieder in den Griff bekommst bzw. wieder neu aufbauen kannst.

Es verbleiben in der Hoffnung auf eine in Zukunft bessere Zusammenarbeit, herzlichst, Andrea & Kai an Bord der Silence, „Midde ufm Adlandig“

[gpspos lat=20.338 lon=-35.845]