Tag 21 – Weg mit der rosaroten Brille!

Heute muss ich mich mal wieder zu Wort melden, denn wenn ich die Beiträge von Kai lese, habe ich manchmal das Gefühl, dass wir auf zwei unterschiedlichen Booten sind. Er hatte gestern geschrieben, dass die Freude über den schönen Tag beim Abendessen etwas getrübt wurde, als uns von allen Seiten Squalls einholten. Das war ja sowas von untertrieben. Die Wirklichkeit sah so aus, dass Kai sein Abendessen unter großem Fluchen abbrach, draußen ans Ruder ging und seinen ganzen Frust und Ärger laut in den Wind hinausschrie! Währenddessen saß ich drinnen auf der Eckbank und ließ meinen Frust heraus, indem ich mich zusammenkauerte und einfach mal 15 Minuten heulte wie ein Schlosshund. Ich bin physisch und psychisch ziemlich am Ende. Und Kai hat sich Anfang letzter Woche auch noch verletzt; wir vermuten, dass er sich eine Rippe angebrochen hat und er hat die ganze Zeit Schmerzen. Bei mir ist es eher der Schlafmangel, der seinen Tribut fordert. Mein Erschöpfungszustand wird von Tag zu Tag schlimmer. Dazu trägt sicherlich auch bei, dass man hier auf dem Boot viel mehr Kalorien verbraucht, als an Land. Der Körper muss den ganzen Tag das Geschaukel ausgleichen und jede Arbeit dauert mindestens doppelt so lange, weil man meist nur eine Hand frei hat. Mit der anderen muss man sich immer irgendwo festhalten und dennoch stößt man sich ständig etwas an. Jeden Tag entdecke ich einen neuen blauen Fleck. Gestern habe ich gelesen, dass man auf dem Boot sogar im Schlaf 50 Kilokalorien pro Stunde mehr verbraucht als an Land. Bei normalem Seegang (und den hatten wir bei unserer Überquerung noch so gut wie nie) braucht ein 70kg schwerer Mensch ca. 2800 Kilokalorien mehr als an Land. Das ist der komplette Energiebedarf eines Tages. Jetzt wundert mich nicht mehr, dass ich den ganzen Tag nur am Essen bin und ich mich ständig so fühle, als hätte ich Schwerstarbeit geleistet. Am ehesten könnt ihr es euch vielleicht so vorstellen: man ist schrecklich spät ins Bett und hatte dann eine ziemlich miese Nacht. Die ganze Zeit hat jemand an eurem Bett gerüttelt, mit einem Schlagzeug direkt neben eurem Kopf gesessen und getrommelt was das Zeug hält. Ab und an ist derjenige aufgestanden und hat mit einem lauten Knall die Schlafzimmertür zugeworfen, nur um gleich danach wieder mit seinem Getrommel anzufangen. Im Zimmer wird es ziemlich stickig, weil es draußen 28°C hat, das Fenster aber geschlossen bleiben muss, weil sonst Gischt hinein spritzt. Nach 4 Stunden werdet ihr geweckt und müsst an die Arbeit. Zwar müsst ihr nur 4 Stunden arbeiten, aber auch nach diesen 4 Stunden ist ja nicht an einen ruhigen Schlaf zu denken. Unter Tag seid ihr somit also völlig fertig und schafft es gerade mal, zu frühstücken, Geschirr zu spülen, ab und an ein Brot oder einen Kuchen zu backen, Abendessen zu machen, wieder Geschirr zu spülen und dabei immer mal wieder Wache zu schieben oder selbst das Boot zu steuern. Die nächste Nacht wird dann genauso wie die vorherige, aber natürlich nur, wenn wir gerade einen guten Tag haben. Denn teilweise durchwachen wir auch beide zusammen die ganze Nacht und schlafen überhaupt nicht. Und das Ganze geht jetzt schon seit 20 Tagen so. Ich habe so dermaßen die Schnauze gestrichen voll, aber es hilft ja alles nichts. Da müssen wir jetzt durch, denn aufgeben oder aussteigen geht ja nicht. Ach, hätten wir uns doch nur ein Wohnmobil gekauft. Da könnte man jederzeit rechts ranfahren und eine Mütze voll Schlaf nehmen oder bei richtig blödem Wetter könnte man auch einfach mal ein Hotelzimmer nehmen. Aber hier ist nichts mit rechts ranfahren. Hier gilt nur: Augen zu und durch! Wenn wir mit unserer aktuellen Geschwindigkeit weiter fahren, erreichen wir in etwas weniger als 6 Tagen Antigua…

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Tag 20 – Fliegende Fische

Heute war das erste Mal nach dem Tief wieder richtiges Passatwetter! 5 Windstärken aus Ost bliesen uns bei typisch blauem Himmel mit kleinen Wölkchen und warmen 28°C Richtung Karibik. Leider wurde die Freude etwas getrübt, als sich achteraus während des Abendessens (Würstchen mit Kartoffelbrei und Rotkraut) auch schon die erste, ebenfalls für das Passatwetter typische, Squall aufbaute. Also, Essen unterbrechen, Segel runter, mit Motorkraft quer zur Zugrichtung ablaufen. Geschafft, der Schauer geht an uns vorbei! Gerade als wir wieder Segel setzen wollen, sehen wir schon die nächste schwarze Wolke anrücken. Ok, Motor wieder an, ausweichen…nein, das reicht nicht mehr, alle Luken dicht, der Regen kommt. Auch gut, dann können wir unseren Nachtisch noch aufessen. Währenddessen lassen wir uns von der Squall das Deck abspülen, was sowieso mal dringend nötig war.
Anschließend setzten wir wieder Segel und ich übernahm die erste Nachtwache. Übrigens haben wir seit gestern ein neues Wachsystem etabliert, das wir uns aus einem Weltumsegler-Buch aus den 60er Jahren abgeschaut haben: die ersten beiden Schichten dauern wie gehabt je 4 Stunden, so dass die Freiwache diese Zeit am Stück durchschlafen kann. Danach gibt es dann zwei Schichten mit jeweils 2 1/2 Stunden. Somit sind die frühmorgendlichen Wachen nicht mehr so ewig lange und, das ist der eigentliche Clou daran, jeder kann 2x bei Dunkelheit ins Bett gehen.
Während meiner Wache gab es dann noch zwei weitere Schauer. Der erste zog knapp an uns vorbei, beim zweiten war ich mir nicht ganz so sicher. Angespannt saß ich im Cockpit am Ruder, bereit jederzeit die Genua einzurollen, wenn die allerersten Anzeichen einer Regenbö kommen. „Klatsch-peng“ schlägt mir plötzlich etwas sehr hartes an den Oberschenkel. Zu Tode erschrocken schalte ich meine Stirnlampe ein: da lag ein 20 cm langer fliegender Fisch im Cockpit, zappelte und rang nach Luft. Der Arme wurde wohl von uns aufgeschreckt und ist in seiner Verwirrung prompt in die falsche Richtung geflohen. Schnell warf ich ihn wieder zurück ins Wasser. Ich denke zwar schon, dass er überlebt hat, aber ein bißchen Kopfweh vom Aufprall wird er wohl sicherlich haben :-). Kurze Zeit später wiederholt sich das Schauspiel. Allerdings prallt der nochmal etwas größere Fisch diesmal gegen unseren Großbaum, der mehr als 3 Meter über der Wasserlinie ist! Bevor ich für eine weitere Rettungsaktion aufs Salondach klettern kann, hat sich dieses Exemplar einer Spezies, die sicher nicht wegen ihrer herausragenden Intelligenz bis heute überlebt hat, durch seine Zappelei wieder selbst ins rettende Nass verholt. Ich habe mir vorgenommen, den nächsten Vollidioten, der bei uns an Bord havariert, zu essen. Sollen ja ganz gut schmecken, die Viecher :-).

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Tag 19 – Meilensteine

Wir kämpfen immer noch mit dem Wetter. Die letzten 24 Stunden sah es direkt voraus die ganze Zeit nach Weltuntergang aus: graue bis schwarze Wolken reichten hinunter bis zum Horizont. Achtern sah es nicht viel besser aus, eher schlimmer, da man zusätzlich noch die hohen Wellen, aufgepeitscht durch den starken Wind, anrauschen sah. Backbord und Steuerbord sah es fast immer nach Regen aus. Nur genau über uns befand sich die ganze Zeit ein blaues Himmelsloch, so dass ab und an die Sonne durchblinzeln konnte. Aber immerhin kommt der Wind aus der richtigen Richtung, so dass wir heute unserem Ziel 110 Seemeilen näher gekommen sind. Gestern Nacht konnten wir übrigens gleich mehrere Meilensteine feiern: – weniger als 1000 Seemeilen bis Antigua! – 2000 Seemeilen bisher zurückgelegte Strecke
– 2/3 der Gesamtdistanz geschafft
Und für die Freunde der Statistik hier noch ein paar Zahlen:
Unsere Durschnittsgeschwindigkeit ist auf 4,46 Knoten gesunken. Fahren wir in dem Tempo weiter, werden wir erst am 27. Januar, nach genau 4 Wochen, ankommen. Drückt uns die Daumen, dass wir hier irgendwann doch noch das Gaspedal finden und somit ein oder sogar zwei Tage früher dort sein werden.

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