Heute muss ich mich mal wieder zu Wort melden, denn wenn ich die Beiträge von Kai lese, habe ich manchmal das Gefühl, dass wir auf zwei unterschiedlichen Booten sind. Er hatte gestern geschrieben, dass die Freude über den schönen Tag beim Abendessen etwas getrübt wurde, als uns von allen Seiten Squalls einholten. Das war ja sowas von untertrieben. Die Wirklichkeit sah so aus, dass Kai sein Abendessen unter großem Fluchen abbrach, draußen ans Ruder ging und seinen ganzen Frust und Ärger laut in den Wind hinausschrie! Währenddessen saß ich drinnen auf der Eckbank und ließ meinen Frust heraus, indem ich mich zusammenkauerte und einfach mal 15 Minuten heulte wie ein Schlosshund. Ich bin physisch und psychisch ziemlich am Ende. Und Kai hat sich Anfang letzter Woche auch noch verletzt; wir vermuten, dass er sich eine Rippe angebrochen hat und er hat die ganze Zeit Schmerzen. Bei mir ist es eher der Schlafmangel, der seinen Tribut fordert. Mein Erschöpfungszustand wird von Tag zu Tag schlimmer. Dazu trägt sicherlich auch bei, dass man hier auf dem Boot viel mehr Kalorien verbraucht, als an Land. Der Körper muss den ganzen Tag das Geschaukel ausgleichen und jede Arbeit dauert mindestens doppelt so lange, weil man meist nur eine Hand frei hat. Mit der anderen muss man sich immer irgendwo festhalten und dennoch stößt man sich ständig etwas an. Jeden Tag entdecke ich einen neuen blauen Fleck. Gestern habe ich gelesen, dass man auf dem Boot sogar im Schlaf 50 Kilokalorien pro Stunde mehr verbraucht als an Land. Bei normalem Seegang (und den hatten wir bei unserer Überquerung noch so gut wie nie) braucht ein 70kg schwerer Mensch ca. 2800 Kilokalorien mehr als an Land. Das ist der komplette Energiebedarf eines Tages. Jetzt wundert mich nicht mehr, dass ich den ganzen Tag nur am Essen bin und ich mich ständig so fühle, als hätte ich Schwerstarbeit geleistet. Am ehesten könnt ihr es euch vielleicht so vorstellen: man ist schrecklich spät ins Bett und hatte dann eine ziemlich miese Nacht. Die ganze Zeit hat jemand an eurem Bett gerüttelt, mit einem Schlagzeug direkt neben eurem Kopf gesessen und getrommelt was das Zeug hält. Ab und an ist derjenige aufgestanden und hat mit einem lauten Knall die Schlafzimmertür zugeworfen, nur um gleich danach wieder mit seinem Getrommel anzufangen. Im Zimmer wird es ziemlich stickig, weil es draußen 28°C hat, das Fenster aber geschlossen bleiben muss, weil sonst Gischt hinein spritzt. Nach 4 Stunden werdet ihr geweckt und müsst an die Arbeit. Zwar müsst ihr nur 4 Stunden arbeiten, aber auch nach diesen 4 Stunden ist ja nicht an einen ruhigen Schlaf zu denken. Unter Tag seid ihr somit also völlig fertig und schafft es gerade mal, zu frühstücken, Geschirr zu spülen, ab und an ein Brot oder einen Kuchen zu backen, Abendessen zu machen, wieder Geschirr zu spülen und dabei immer mal wieder Wache zu schieben oder selbst das Boot zu steuern. Die nächste Nacht wird dann genauso wie die vorherige, aber natürlich nur, wenn wir gerade einen guten Tag haben. Denn teilweise durchwachen wir auch beide zusammen die ganze Nacht und schlafen überhaupt nicht. Und das Ganze geht jetzt schon seit 20 Tagen so. Ich habe so dermaßen die Schnauze gestrichen voll, aber es hilft ja alles nichts. Da müssen wir jetzt durch, denn aufgeben oder aussteigen geht ja nicht. Ach, hätten wir uns doch nur ein Wohnmobil gekauft. Da könnte man jederzeit rechts ranfahren und eine Mütze voll Schlaf nehmen oder bei richtig blödem Wetter könnte man auch einfach mal ein Hotelzimmer nehmen. Aber hier ist nichts mit rechts ranfahren. Hier gilt nur: Augen zu und durch! Wenn wir mit unserer aktuellen Geschwindigkeit weiter fahren, erreichen wir in etwas weniger als 6 Tagen Antigua…
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