Leider hatten wir nicht sehr viel Zeit, um uns die vielen Inseln der BVI’s genauer anzuschauen. Als wir den Wetterbericht auf Jost van Dyke aktualisierten, sahen wir, dass es am besten wäre, in sechs Tagen unsere etwas längere Überfahrt nach Guadeloupe in Angriff zu nehmen.
Also fuhren wir die Inseln im Schnelldurchlauf ab. Wir hatten uns die Herausforderung gestellt, möglichst bis Virgin Gorda zu segeln (also den Motor nur für die Ankermanöver zu benutzen) und nie zur Übernachtung an eine Boje zu gehen. Ich bin mir nicht sicher, welches davon die größere Herausforderung war. Da der Wind natürlich, wie hier so üblich, aus Osten kam, mussten wir, um unser Ziel Virgin Gorda zu erreichen, die ganze Zeit zwischen den Inseln kreuzen und den Sir Francis Drake Channel mehrere Male überqueren.
Zuerst segelten wir vier Stunden nach Norman Island und lagen dort in einer Bucht mit starken Fallböen. Diese kamen so unvermittelt und heftig, dass uns urplötzlich eine unsere Luken mit einem lauten Knall auf Deck schlug und dabei die Scheibe einen Riss bekam. Na super, das ist ja ein toller Ankerplatz.
Am nächsten Tag ging es dann weiter nach Tortola, wo wir uns die Hauptstadt Road Town anschauten. Sie war in unserem Reiseführer als größte Stadt der British Virgins beschrieben worden und sollte einen schönen Charme ausstrahlen. Na ja, groß ist immer relativ: wir hatten die Stadt in ca. 20 Minuten einmal komplett durchquert und nach dem schönen Charme hielten wir vergeblich Ausschau. Vielleicht sind wir nach Puerto Rico aber auch einfach zu verwöhnt 😉
Zurück an unserem Boot stellten wir mit Unwillen fest, dass wir hier nicht über Nacht bleiben können. Mittlerweile hatte sich solch ein Schwell aufgebaut, dass unsere Silence in den Wellen wippte wie ein Schaukelpferd. Also schnell Anker auf, Segel setzen und weiter in die nächste Bucht. Dort kamen wir um 16 Uhr an und stellten fest, dass wir lediglich ein Elend gegen ein anderes getauscht hatten. Hier waren zwar nicht ganz so hohe Wellen, aber dafür liefen sie von der Seite in die Bucht und wir wurden ordentlich in den Schlaf geschaukelt.
Am nächsten Tag machten wir nach einer Stunde gemütlichen Segelns, einen morgendlichen Zwischenstopp auf Salt Island, um dort das Wrack der im Jahre 1867 bei einem Hurrikan gesunkenen RMS Rhone zu umschnorcheln. Die mehr als 100m lange RMS Rhone war damals in drei Teile zerbrochen, die nun in ca. 8 – 30m tiefem Wasser liegen. Somit sahen wir beim Schnorcheln nur zwei der drei Teile, aber auch diese waren recht imposant. Vor allem der 5m große und ca. 1.500kg schwere Propeller beeindruckte uns sehr.
Danach ging es weiter in die Savanna Bay auf Virgin Gorda, in die man durch und über mehrere Riffe hinweg navigieren muss. Dort lagen wir endlich mal wieder schön ruhig und geschützt und schnorchelten nochmals eine Runde im kristallklaren Wasser. Leider gab es jedoch nicht allzu viele tolle Fische zu bewundern.
Am nächsten Morgen motorten wir an den Endpunkt unserer Reise in den British Virgins der treffenderweise Bitter End heißt. Hier machten wir uns einen relativ gemütlichen Nachmittag, holten in einer Bar nochmals den Wetterbericht und stellten einen Blogbeitrag online. Und am nächsten Tag wollten wir uns schön ausruhen, damit wir fit sind für die längere Überfahrt nach Guadeloupe. Doch wie immer, wenn man sich auf einen entspannten Tag freut, geht alles schief. Schon vor ein paar Tagen hatten wir bemerkt, dass nun auch noch ein paar Nähte am Achterliek unserer Genua aufgegangen waren, doch wir hatten beschlossen, dies dann auf Guadeloupe zu reparieren. Beim nochmaligen Check fiel Kai jedoch auf, dass sie an mehr Stellen eingerissen war, als wir unterwegs gesehen hatten und zudem hatten sich auch noch drei der sechs Befestigungen am Schothorn gelöst. So konnten wir auf keinen Fall lossegeln. Also wurde der gemütliche Tag mit sofortiger Wirkung gestrichen, die Nähmaschine aufgebaut, die Genua heruntergeholt und los ging’s. Die Nähte am Schothorn mussten wir leider mit der Hand nähen, weil der Stoff für unsere Nähmaschine zu dick war und so waren wir den kompletten Tag beschäftigt. Mittags fiel Kai dann ein, dass wir ja auch noch ein paar Liter Diesel tanken wollten. Unser Reiseführer schrieb, dass die Tankstelle um 16:30 Uhr schließt, aber da wir ja wissen, dass diese Öffnungszeiten oft nicht stimmen, fuhr Kai sicherheitshalber schon um kurz nach 15 Uhr an die Tanke. Aber was soll ich sagen, wir haben es leider nach mehr als einem Jahr in der Karibik immer noch nicht drauf, die Island Time richtig mit einzuberechnen. Natürlich hatte die Tanke bereits um 15 Uhr geschlossen; wie sollte es auch anders sein! Alles in allem also ein sehr gelungener Tag!
Abends fielen wir um 21 Uhr todmüde ins Bett und benötigten somit für unsere Abfahrt am nächsten Morgen noch nicht einmal einen Wecker. Um 5:30 Uhr waren wir beide wach und machten uns bereit für die Reise. Um 6:15 motorten wir aus der Bucht heraus in einen wunderschönen Sonnenaufgang. Leider konnten wir mit unserer Silence bei einem Kurs von 135° und Wind aus Ost nicht wirklich segeln, aber mit Unterstützung des Motors konnten wir immerhin motorsegeln. Somit kamen wir mit ca. 7 Knoten recht flott voran. Am Abend passierten wir Saba, das eigentlich nur aus einem riesigen Felsen mitten im Meer besteht. Selbst bei Nacht sah das sehr imposant aus.
Kurz danach ging ich so gegen 21 Uhr ins Bett und Kai übernahm die erste vierstündige Wache. Doch bereits um 23 Uhr wachte ich auf, weil ich Kai wild an Deck hin und her rennen hörte. Ich lief schnell nach oben und sah nur noch sehr nah einen Tanker an uns vorüber ziehen. Kai war völlig aufgeregt und nachdem er sich beruhigt hatte, sagte er mir, dass dieser uns fast überlaufen hätte. Der Wind hatte gedreht und Kai war gerade so sehr mit dem Versuch beschäftigt die Segel neu zu trimmen, als sich aus der Lichterkette von St. Eustachius ein Licht löste und mit hoher Geschwindigkeit auf unsere Silence zugebraust kam. Als der Frachter schon recht nah war, leuchtete er Kai mit einer Lampe in die Segel und brauste einfach weiter auf uns zu. Das war wohl seine Aufforderung ihm gefälligst Platz zu machen, was aber ziemlich unverschämt war, weil wir von rechts kamen und somit eindeutig Vorfahrt hatten. Doch bei einem Kampf von David gegen Goliath wollte Kai dann doch lieber nicht auf seinem Recht bestehen, sondern fuhr schnell eine Wende. Klar, dass seine Nerven danach etwas blank lagen. So rollten wir zusammen die Genua ein, weil wir unseren Kurs einfach nicht mehr halten konnten und motorten weiter. Ich schickte Kai ins Bett, packte meinen iPod aus und hörte Musik, während mir der Wind um die Ohren pfiff.
Für ca. zwei Stunden hatte ich eine recht gemütliche Nachtwache, in der lediglich der ein oder andere Frachter in mehr als einer Seemeile Entfernung an uns vorbei rauschte. Doch dann wurde auch mein Puls etwas in die Höhe getrieben. Uns kam ein Frachter entgegen und unser AIS (Automaisches Identifikationssystem) sagte, dass er in 20 Minuten auf ca. 0,5 bis 1 Seemeile Entfernung an unserer Steuerbordseite vorbei fahren würde. Wir hatten irgendwann mal beschlossen, dass unsere Wohlfühlzone bei einem Mindestabstand von ca. 1 Seemeile liegt und somit schaute ich alle paar Minuten auf dem AIS nach den Angaben, um im Notfall etwas nach Backbord auszuweichen. Doch als der TCPA (time to closest point of approach) bei 15 Minuten stand, entdeckte ich plötzlich, dass noch ein weiterer Frachter von hinten auf uns zukam. Dieser sollte ebenfalls in 15 Minuten an uns vorbei fahren, nämlich an unserer Backbordseite und wie sollte es anders sein, in ca. 0,8 bis 1 Seemeile Entfernung. Man wollte uns also schön von beiden Seiten in die Zange nehmen. Ich schaute jede Minute aufs AIS und sah die beiden auch draußen rasend schnell näher kommen. Das karibische Meer ist so groß und da müssen wir drei uns genau an einer Stelle treffen. Kann das wahr sein? Was sollte ich tun, wenn einer von den beiden plötzlich seinen Kurs um ein oder zwei Grad ändert und uns dann richtig in die Zange nimmt? Irgendwann wurde mir das dann doch zu heiß und so weckte ich Kai, um mit ihm zusammen zu beschließen, ob wir etwas unternehmen sollten. Kai überwachte drinnen das AIS, während ich draußen nach den beiden Ausschau hielt und so war der Spuk nach 10 Minuten vorüber und beide Frachter waren in etwas weniger als einer Seemeile Entfernung an uns vorbeigerast. Es war also alles im grünen Bereich und so schickte ich Kai wieder ins Bett und schaute weitere zwei Stunden zu, wie die Lichter von St. Kitts langsam an uns vorbei zogen und dann die Lichter von Nevis folgten.
Um 3:30 Uhr weckte ich Kai, weil mir mittlerweile ständig die Augen zufielen und er übernahm die letzte Nachtwache. Glücklicherweise verlief diese völlig unspektakulär. Zwischendurch konnte Kai sogar wieder etwas motorsegeln, so dass ich, als ich um 7:30 Uhr wieder aufwachte, bereits Montserrat erblickte. Leider waren wir durch den ungünstigen Wind etwas vom Kurs abgekommen und fuhren relativ weit an Montserrat vorbei. Da der Wind immer weiter nach vorne drehte, kamen wir auch unter Motor irgendwann nur noch mit 4 Knoten voran. Um Guadeloupe noch im Tageslicht zu erreichen benötigten wir allerdings eine Mindestgeschwindigkeit von 5,5 Knoten. Wir überlegten schon, ob wir wieder umkehren und für die Nacht in Montserrat bleiben sollten, als der Wind glücklicherweise wieder langsam in die richtige Richtung drehte. So konnten wir irgendwann sogar erneut die Genau setzen und brausten mit rund 7 Knoten auf Guadeloupe zu. Und nachmittags um 17 Uhr war es geschafft: wir hatten in Deshaies geankert und fielen nach dem Abendessen beide todmüde ins Bett!