Zweiter Klasse nach Marrakesch

Am Samstag kamen wir nach 36 Stunden Fahrt in Mohammedia an. Bei Nacht aus Gibraltar herauszufahren war recht spannend, weil hier sehr viele Schiffe unterwegs waren und eines davon uns auch noch unbedingt rammen wollte.

AIS

Auch die Einfahrt in den Hafen von Mohammedia war nicht ereignislos: an einem der Stege stand ein Herr, der uns winkend die Richtung wies und während wir auf den netten Mann schauten, hätten wir fast zwei Mourings übersehen, die von Fischerbooten quer über die halbe Hafeneinfahrt gingen. Wir waren mit dem Kiel bereits drüber und Kai konnte im letzten Moment noch volle Fahrt rückwärts geben, sonst hätten wir uns bestimmt total in den Leinen verheddert.

Fischerboote MohammediaHafen

Und dann erwarteten wir mit Spannung die Ankunft der Herren von Zoll, Einwanderungsbehörde und Cost Guard. In unserem Revierführer hatten wir gelesen, dass die Formalitäten mehrere Stunden in Anspruch nehmen können und eventuell vom Zoll das ganze Boot auf den Kopf gestellt wird. Uns war etwas bange vor dieser Prozedur.

Nach ca. einer halben Stunde tauchten auch schon drei Herren auf, machten es sich in unserem Salon bequem und packten einige Formulare aus. Sie selbst füllten ein paar davon aus, Kai durfte auch eines ausfüllen und ich servierte derweil schöne kalte Cola, Orangensaft und Kekse. Wir erwähnten so nebenbei, dass wir noch nie in Marokko waren und planen nach Marrakesch zu fahren und auf einmal fingen alle drei gleichzeitig an, auf uns einzureden und uns zu erklären, was wir in Marrakesch alles anschauen müssten. Für einen Europäer, der nicht gewusst hätte, um was es geht, hätte es sicherlich wie ein handfester Streit geklungen, denn die Herren wurden immer lauter. Unglaublich wie nett die drei waren und die Formalitäten waren ruckzuck erledigt. Nachdem wir erklärt hatten, dass wir keine Waffen an Bord haben, wollte auch niemand unser Boot durchsuchen und sie scherzten sogar mit uns, dass wir in einer Gefahrensituation einen Schuss mit unseren Signalraketen abgeben könnten und sie kämen uns dann mit ihren Waffen zu Hilfe. Es war wirklich ein sehr herzlicher und lustiger Empfang!

Gleich am Abend buchten wir noch eine kleine Pension in Marrakesch und am nächsten Morgen packten wir ein paar Klamotten in unsere Rucksäcke und machten uns auf zum Bahnhof von Mohammedia. Dort wurden wir vor eine schwere Wahl gestellt: sollten wir zwei Tickets für die zweite Klasse (für €10,- pro Person) oder lieber für die erste Klasse (für €15,-) kaufen? Beides war spottbillig für eine Fahrt von 250 km, aber irgendwie reise ich lieber authentisch und somit entschieden wir uns für Tickets für die zweite Klasse (welch eine dumme Entscheidung!). Der Zug kam an, wir stiegen ein und standen mit ca. 10 anderen Leuten zwischen zwei Waggons. Zuerst hatten wir noch die Hoffnung, dass sich dieser Stau gleich auflösen würde, doch die Hoffnung war leider falsch. Dies sollte für die nächsten 4 Stunden unser Platz sein, den wir im Laufe der Fahrt auch noch vehement verteidigen mussten, denn der Zug wurde immer voller. An einer Haltestelle zählte ich 7 Leute, die aus unserer Tür ausstiegen und dafür stiegen 15 zu. Glücklicherweise kam irgendwann jemand auf die glorreiche Idee, das ganze Gepäck in die Toilette zu schaffen, so dass wir wieder etwas mehr Platz für unsere Füße hatten. Durch die vielen Menschen wurde es auch immer wärmer und irgendwann sackte mir total der Kreislauf weg. Jetzt war mir alles egal: ich setzte mich mitten in dem Gedränge auf den schmutzigen Boden und stand erst kurz vor Marrakesch wieder von meinem „Sitzplatz“ auf. Welch ein Glück, dass wir immerhin die ganze Fahrt eine der Türen offen hatten, so dass etwas frische Luft hereinkommen konnte 😉 Und wenn das mal keine authentische marokkanische Zugfahrt war!

Zugfahrt1Ankunft Bahnhof

In Marrakesch fuhren wir mit einem Taxi zu einem kleinen Platz und den Rest mussten wir zu Fuß zurücklegen, denn unsere Pension lag mitten in der Medina (Alstadt), in der keine Autos fahren, dafür aber umso mehr Fahrräder, Mofas, Roller und Eselskarren. Es war ein heilloses Durcheinander und wir verirrten uns prompt. Völlig k.o. und verschwitzt kamen wir in unserem Riad an und hier erlebten wir die erste Überraschung. Die Kontraste sind unglaublich. Während draußen total der Lärm war, überall Menschen redeten, Mofas hupten, Fahrräder und Eselskarren quietschten, herrschte hier eine unglaubliche Stille. Wir waren nur wenige Meter von dem ganzen Treiben entfernt und man hörte überhaupt nichts mehr davon. Unsere Pension war genauso schön, wie sie im Internet beschrieben war und kostete lediglich €40,- pro Nacht (falls mal jemand von Euch nach Marrakesch möchte, kann ich das Riad Ghemza wärmstens empfehlen). Wir waren in einer Oase der Ruhe gelandet.

Verkehr2 Schaf auf Auto TankstelleVerkehr in MedesaEingang Riad1 Riad Hof

Nach einer kleinen Pause stürzten wir uns wieder ins Treiben und schlenderten durch die Souks. Wir besichtigten die Gerberei der Berber, wo jeder von uns ein Sträußchen Minze in die Hand gedrückt bekam. Nachdem wir wohl etwas verdutzt geschaut haben, sagte man uns, dies sei eine „Berber gas mask“ und ihr könnt glauben, dass wir während der Besichtigung sehr glücklich über dieses Sträußchen waren, denn es stank bestialisch!

Gerber

Abends gingen wir zum berühmtesten Platz in Marrakesch, dem Jemaa el Fna. Wir hatten im Internet gelesen, dass hier abends der Bär tanzt und es Schlangenbeschwörer, Feuerschlucker u.v.m. gibt. Ach waren wir enttäuscht: überall spielten kleine Gruppen arabische Musik, die Frauen boten Henna-Tatoos an und es gab unzählige Essensstände. Es war sehr viel los, aber von Schlangenbeschwörern und ähnlichem war keine Spur. Aber dafür war die berühmte Moschee wunderbar beleuchtet und wir genossen einfach so das bunte Treiben um uns herum, bevor wir zu unserem Riad zurückkehrten (wir verliefen uns natürlich wieder und mussten einen kleinen Jungen bitten uns hinzuführen) und todmüde ins Bett fielen.

Koutuobia Moschee

Gestern ging es dann nach einem fantastischen Frühstück und ausgestattet mit einem Stadtplan inklusive vieler toller Besichtigungstipps, die uns der „Nachtwächter“ unseres Riads gegeben hatte, auf große Erkundungstour. Nachdem wir uns am Vortag ja mehrfach verlaufen hatten, waren wir jetzt schlauer und nahmen unser GPS mit, in das wir die Koordinaten der ganzen Sehenswürdigkeiten eintrugen. Das war eine unglaublich gute Idee von Kai, denn auf diese Art und Weise fanden wir alle Stationen, ohne uns auch nur ein einziges Mal zu verlaufen. Zuerst besichtigten wir das Palais Bahia und die Tombeaux Saadiens (warum hatten wir eigentlich mit der Alhambra solch einen Aufwand betrieben; die Paläste, Gräber und Koranschulen hier sind genauso beeindruckend). Danach ging es in Richtung Jardin Majorelle.

Palais Bahia1Palais Bahia2
Tombeaux4Tombeaux2Tombeaux3

Glücklicherweise kamen wir auf unserem Weg dorthin über den Platz Jemaa el Fna. Bei Tag sah er völlig anders aus: die ganzen Fressbuden waren verschwunden und dafür waren tatsächlich die Schlangenbeschwörer da. Sie hatten sowohl kleine Vipern wie auch große Kobras dabei und wir haben jetzt ein paar fantastische Fotos.

Kobra

Dann ging es wie gesagt zum Garten Majorelle, ebenfalls eine Oase der Ruhe inmitten des ganzen Lärms und danach schauten wir uns auf dem Weg zu unserem Riad noch die berühmte ehemalige Koranschule Medersa Ben Youssouf an, die lediglich 100m von unserer Unterkunft entfernt war.

Jardin Majorelle2 Jardin Majorelle1 Jardin Majorell3 Koranschule1 Koranschule2

Nach einer ausgedehnten Siesta stürzten wir uns nochmals in die Souks und bestaunten die ganzen bunten Stände und die vielen schönen Dinge, die hier angeboten werden.

Souk Nacht1 Souk Nacht

Eigentlich wollten wir noch in einem Restaurant Abendessen gehen, aber da wir mittags mal wieder an allen möglichen Ständen Essen wie z.B. Lamm-Hackfleisch-Spieße (6 Spieße inkl. Fladenbrot für umgerechnet €1,50) , Zwiebel-Tomaten-„Tortillas“, frische Ananas, Sesam-Erdnüsse, u.v.m. gegessen hatten, waren wir überhaupt nicht mehr hungrig.

Essen Grill1 Essen Grill2

Also genossen wir auf der Panorama-Terrasse des Café de France den Sonnenuntergang über dem Platz Jemaa el Fna und aßen danach lediglich noch eine traditionelle Tajine auf dem großen Platz.

Koutoubia Nacht1 Koutoubia Nacht2

Danach bestaunten wir das Gewimmel in der Kasbah und machten uns durch das Straßengewirr erneut zurück auf den Weg zu unserem Riad. Nachts wird einem der Weg noch zusätzlich erschwert, weil einige Tore geschlossen werden und man somit auch noch Umwege laufen muss. Als ob es nicht schon genug wäre, dass man sowieso nichts wiedererkennt, weil die geschlossenen Shops nun alle gleich aussehen und eine Gasse sowieso der anderen gleicht! Aber dank unseres GPS fanden wir unser Riad wieder, wir kamen nur unerklärlicherweise diese Mal aus einer völlig anderen Richtung.

Heute haben wir noch die Maison de la photographie besichtigt und jetzt befinden wir uns gerade im Zug auf der Rückfahrt nach Mohammedia. Drei Mal dürft Ihr raten, welche Kategorie Tickets wir dieses Mal gewählt haben: wer braucht schon Authentizität, wenn man erster Klasse so viel besser reist 😉

Zugfahrt2 Aussicht Zug2 Aussicht Zug1

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2 Gedanken zu „Zweiter Klasse nach Marrakesch

  1. Hey ihr beiden, tolles Erlebnis. Wollt ihr euch das mit der Knarre nicht nochmal überlegen…;-) danke euch für die stets unglaublich willkommene Abwechslung zum stressigen arbeitsalltag in Deutschland. Ich sag mal, ihr habt alles richtig gemacht, genießt es und passt auf euch auf. Cheers, Jens

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